Der chinesische Markt ist für Unternehmen attraktiver denn je: eine neu entstandene Mittelklasse profitiert enorm vom wirtschaftlichen Aufstieg des Landes und erweist sich als überaus kaufkräftig. Importprodukte, besonders aus Europa, stehen hoch im Kurs. Für Marketer gilt es beim Anvisieren des chinesischen Marktes jedoch einiges zu beachten, denn das Internet im Reich der Mitte funktioniert nach anderen Prinzipien als im Westen.
Es geht voran
Noch vor 20 Jahren wäre kaum damit zu rechnen gewesen, dass sich China innerhalb weniger Jahre zum Hotspot des internationalen Konsums und zu einer der bedeutendsten Wirtschaftsnationen der Welt entwickeln würde. Doch mit dem WTO-Beitritt Chinas im Dezember 2001 begann der enorme Aufschwung des Landes.
Das BIP stieg von 1,2 Billionen US-Dollar im Jahr 2000 auf über 14,1 Billionen Dollar im Jahr 2019 – Prognosen sagen ein BIP in der Höhe von knapp 21 Billionen Dollar für das Jahr 2024 voraus.
Gemeinsam mit den anderen Staaten des asiatischen Kontinents wird China aufgrund dieser positiven Entwicklungen international immer bedeutender: Handelsverträge und Kooperationen mit internationalem Gewicht entstehen, die globale Kaufkraft verlagert sich zunehmend in den Osten. (Peter Frankopan (2019). Die neuen Seidenstraßen: Gegenwart und Zukunft unserer Welt. Berlin: Rowohlt, S.16ff.)
Handelsbeziehungen mit China gehören zu den lukrativsten: so war China 2018 wiederholt der größte Handelspartner Deutschlands. Auch wenn aufgrund der COVID19-Pandemie die Investitionen in Europa zuletzt etwas zurückgingen, bleibt das chinesische Interesse an heimischen Unternehmen weiterhin ungebrochen.
Kurzum: Dank seiner stetig steigenden Zahlen und Handelsinitiativen ist China heutzutage wichtiger als jemals zuvor.
Mit diesem Wirtschaftswachstum geht auch das Entstehen einer neuen Mittelschicht in China einher: Deutlicher als je zuvor wird ersichtlich, dass immer mehr Chinesen den sozialen Aufstieg schaffen. Schätzungen gehen davon aus, dass bis 2022 76 Prozent der urbanen Bevölkerung Chinas zur Mittelklasse gehören werden und die Armutsrate weiter sinken wird.
Eine Konsequenz dieser Entwicklung ist der Anstieg der Konsumraten – jährlich steigen die Konsumausgaben bei der jungen, neuen Mittelschicht in China um 14 Prozent – mehr als jemals zuvor in der wechselreichen Geschichte des Landes.
Beschreibung: Die neue chinesische Mittelschicht liebt europäische Qualitäts- und Lifestyleprodukte
Das chinesische Internet
Mehr noch als jedes andere Land der Welt ist China voll vernetzt. 61,2 Prozent der chinesischen Gesamtbevölkerung nutzt das Internet – in Zahlen sind das 854 Millionen User. (Statistical Report on Internet Development in China. CNNIC.)
Dies macht sich nicht zuletzt im Handel bemerkbar: Über 600 Millionen Chinesen kaufen mittlerweile über das Internet ein. Der eCommerce boomt. Für heimische Unternehmen bieten sich enorme Chancen, über zielgruppengerichtetes Marketing ganz neue Käuferschichten zu generieren.
Wer sich jetzt verwundert fragt, wieso der Rest der Welt von dieser enormen Anzahl chinesischer Web-User so gut wie nichts mitbekommt, vergisst dabei eine Sache. Denn so riesig Chinas Internet auch ist, es ist vom Rest der Welt fast vollständig abgeschnitten. Die sogenannte „Great Firewall of China“ wurde ursprünglich eingerichtet, um die Organisation der Bürger außerhalb des klar abgegrenzten politischen Systems Chinas zu vermeiden. (James Griffiths (2019). The Great Firewall of China. London: Zed Books, S. 4ff.)
Mittlerweile kontrolliert die Kommunistische Partei Chinas jedoch auch die Werte, die über Chinas Internet vermittelt werden – westlicher Einfluss wird so weit es geht eliminiert. Um wieder auf den Punkt zu kommen: für Marketer bedeutet dies, dass Plattformen wie Facebook oder Instagram für den Gewinn chinesischer Käuferschichten ungeeignet sind.
Im chinesischen Internet gibt es eigene soziale Netzwerke, viele davon auch eingebettet in größere Anwendungsumgebungen (z.B. WeChat). Diese funktionieren auch zum Teil nach ganz anderen „Spielregeln“ als die im Westen bekannten Plattformen – Kampagnen müssen anders geplant und umgesetzt werden, KundInnen wollen anders angesprochen und integriert werden als etwa in Deutschland.
Wie es funktioniert
Klingt erst einmal ziemlich seltsam und befremdlich. Doch sobald Marketer den Schritt gewagt haben und sich an die chinesische Web-Umgebung anpassen konnten, ist alles Weitere ein Selbstläufer. Anhand zwei der beliebtesten Verkaufsplattformen soll im Folgenden aufgezeigt werden, worauf Marketer beim Planen von Kampagnen in China achten müssen.
Die wichtigste Social Media-Plattform Chinas ist mit 1,17 Milliarden Usern für Marketer unumgänglich. Sie bietet Möglichkeiten zum Informationsaustausch, zum Chatten mit Freunden sowie zum Einkaufen. Unternehmen, die auf WeChat vertreten sein möchten, sollten darauf achten, den richtigen Account zu registrieren: Wer nur auf sich aufmerksam machen möchte, benötigt einen „Subscription“-Account.
Ist ein offizieller Unternehmensaccount mit diversen Marketing-, Verkaufs und Payment-Funktionen gewünscht, muss ein „Service“-Account erstellt werden. Mit diesem können Werber auch Promo-Aktionen starten, die Kunden an das Unternehmen binden und sie zum Einkaufen in einem eigens eingerichteten Webshop verleiten.
Interaktivität ist hier der Schlüssel – in Form kleiner Mini-Games oder Gewinnspiele können Prämien an die Follower des eigenen Firmenaccounts ausgeschüttet werden. Ein nahtloses Weiterleiten in den (in WeChat integrierten) Webshop des Unternehmens ist dabei ebenfalls möglich und kann als Alternative zu einer ganz eigenen Website fungieren.
Beschreibung: WeChat bietet für europäische Unternehmer ein enormes Potenzial. Es ist ein essentieller Bestandteil für ein erfolgreiches China-Geschäft.
Alipay
Diese App von der Alibaba Group ist der Platzhirsch auf dem chinesischen Markt für Mobile Payment. Mehr als 1 Milliarde User schließen täglich über 100 Millionen Transaktionen durch die App ab. Mehr als 850 Millionen Chinesen bezahlen fast ausschließlich über mobile Endgeräte. Alipay steht hier für die Bedeutung, die mobile, bargeldlose Zahlungsarten in China mittlerweile eingenommen haben.
Auch die gute, alte Kreditkarte, das “plastic money”, ist im Reich der Mitte schon lange ein Relikt der Vergangenheit. Wer in China auf Kundenakquise gehen möchte, für den ist die Einbindung von Systemen wie Alipay Pflicht. Denn auch standortbasiertes Marketing wird über die App möglich: Sind potenzielle Kunden in der Nähe, können sie das Unternehmen über seine Storefront finden und sich von der App direkt hinführen lassen.
Vorbei sind die Zeiten ziellos platzierter Werbeanzeigen, Spots oder Plakate. Basierend auf den individuellen Interessen können die richtigen Inhalte an die richtigen User ausgespielt werden, um so das Vermarktungspotenzial eines Unternehmens optimal nutzen zu können. Das ist nicht nur für gegenwärtiges Wachstum bedeutend, sondern auch zukunftsweisend.
China Tourist Marketing
Es verwundert also nicht, dass Touristen aus dem Reich der Mitte entsprechenden Service auch im Urlaub erwarten. Wer Touristen über das Marketing erreichen will, kommt um die Implementierung von Alipay im eigenen Unternehmen nicht herum. Etwas detaillierter: über die App können Kunden nicht nur bezahlen – sie haben auch die Möglichkeit, neue Geschäfte zu finden, ihr Sortiment anzusehen und sich anschließend von der App direkt zum Shop ihrer Wahl führen zu lassen.
Dies funktioniert durch die Einrichtung einer „Storefront“, mit welcher Unternehmen auf Alipay vertreten sind, sobald sie die Zahlungsart integriert haben. Diese Storefront ist das digitale Aushängeschild eines Unternehmens auf Alipay – wichtig ist daher, besonders jene Produkte online zu zeigen, die für chinesische Touristen besonders interessant sind. Außerdem sind – wie auch bei WeChat – Online-Coupons, Rabattaktionen oder Promo-Geschenke der Schlüssel zu einer erfolgreichen Kundenakquise.
Doch auch WeChat ist im Bereich des Tourist Marketing eine fixe Größe: von der Reisebuchung über das Einkaufen in lokalen Geschäften vor Ort bis zur abschließenden Bewertung und dem Teilen mit Freunden ist die Plattform Dreh- und Angelpunkt für Millionen chinesischer Touristen. Über standortbasiertes Marketing, gut sichtbare Werbebanner (diese werden in China viel eher toleriert als in Europa) und die Einbindung wichtiger Influencer – sogenannter Key Opinion Leaders – gelangen Marketer über WeChat an ihr chinesisches Publikum und können sich ganz an seine Bedürfnisse anpassen.
Beschreibung: Der chinesische Tourist besitzt eine enorme Kaufkraft und liebt europäische Waren und Dienstleistungen. Durch gezieltes Chinese-Marketing können heimische Unternehmen dieses Potenzial stärker abschöpfen.
Fazit
Das chinesische Internet bietet Unternehmen viele Möglichkeiten zur Erschließung neuer Zielgruppen. Eine stets wachsende Mittelschicht mit großer Kaufkraft und ungebrochenem Interesse an europäischen Produkten, Dienstleistungen und Traditionen ist wie geschaffen für zielgerichtetes Marketing.
Dank ihrer weit fortgeschrittenen Vernetzung ist die Bevölkerung Chinas Vorreiter in Sachen Mobile Payment und eCommerce. Die verschiedenen Anwendungen sprechen jeweils unterschiedliche Zielgruppen an, funktionieren jedoch allesamt nach ähnlichen Spielregeln, die sich teils erheblich von jenen in Europa unterscheiden.
Für Marketer ist es daher wichtig, zu wissen, welche Funktionen die verschiedenen Apps bieten und wie diese optimal genutzt werden können, um das eigene Wachstumspotenzial zu optimieren. Im Bereich des Tourismusmarketing ist Sichtbarkeit und das Schaffen von Anreizen für chinesische Touristen besonders wichtig – haben sie sich nämlich erst einmal dazu entschlossen, in einem Geschäft einzukaufen, werden sie dies im nächsten Urlaub bestimmt wieder tun und das Unternehmen ihren Freunden oder Geschäftspartnern weiterempfehlen.
Plattformen wie WeChat und Alipay sind fruchtbarer Boden für gelingendes Marketing – und wer dieses einmal im Griff hat, der wird seine zahlreichen Möglichkeiten auch nicht mehr missen wollen.